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Belarus und historische Verantwortung Deutschlands

21.06.2022 г.

Das Jahr 2022 wurde in der Republik Belarus zum Jahr der historischen  Erinnerung erklärt.

Eines der zentralen Elemente der nationalen historischen  Erinnerung und des Selbstbewusstseins der Belarusen ist die Tragödie des Zweiten Weltkrieges und der Sieg im Großen Vaterländischen Krieg.

Vor 81 Jahren griff Nazi-Deutschland die Sowjetunion an. Belarus wurde als eine der ersten Sowjetrepubliken dem Vernichtungsschlag des Krieges ausgesetzt. Nach einigen Einschätzungen starb in diesem schrecklichen Krieg faktisch jeder dritte Einwohner von Belarus – insgesamt fast 3 Millionen Menschen. Im Verhältnis zum Bevölkerungsstand vor dem Krieg ist es die höchste und erschreckende Zahl unter allen anderen Ländern und Nationen.

Hunderttausende Belarusen verloren ihr Leben an den Fronten des Krieges, aber gerade die Zivilbevölkerung wurde zum Hauptopfer auf dem Territorium des besetzten Belarus.

Die Kriegshandlungen und drei Jahre der Besatzung brachten Tod, Leid und Schmerz in fast jede belarusische Familie. Viele belarusische Städte, einschließlich der Hauptstadt Minsk, wurden vollständig zerstört. Hunderte von Dörfern wurden mit ihren Bewohnern verbrannt. Das belarusische Dorf Khatyn ist eines der bekanntesten Symbole dieser Tragödie. Hunderttausende Belarusen wurden für Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt.

Zur besonders tragischen Seite dieses barbarischen Krieges wurde die faktische totale Vernichtung der belarusischen Juden, die historisch auf dem Territorium von Belarus lebten.

Auf der berüchtigten Wannsee-Konferenz im Jahr 1942 wurde als Ziel für die «endgültige Lösung der jüdischen Frage» in Belarus schreckliche Zahl von 446 484 Menschen festgelegt. In der Tat wurde dieser „Zielindikator“ von den Nazis um fast Doppelte überschritten. Laut den Schätzungen von Experten und Historikern wurden auf dem Territorium von Belarus, unter anderem im Minsker Ghetto und im Vernichtungslager Trostenez, etwa 800 000 Juden ermordet. Diese integrale Komponente von Belarus und der belarusischen Gesellschaft wurde fast vollständig ausgelöscht.

Belarus erlebte in den Jahren des Zweiten Weltkrieges faktisch zwei Genozide auf seinem Territorium – den Holocaust der belarusischen Juden und den Völkermord der Belarusen als Bestandteil der Ostslawen.

Die Tragödie und die enormen menschlichen Opfer dieses Krieges sind bis heute die wichtigsten Faktoren und Determinanten für die belarusische Gesellschaft und die Politik von Belarus, auch in Bezug auf das heutige Deutschland.

Paradoxerweise mussten die Belarusen – eine der am stärksten von dem Zweiten Weltkrieg betroffene Nation – bis 2015 auf eine offizielle öffentliche Entschuldigung Deutschlands warten für die Verbrechen, die während des Krieges auf dem belarusischen Territorium begangen wurden.

Der Besuch in die Republik Belarus des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland Frank-Walter Steinmeier im Juni 2018 war äußerst wichtig und symbolisch vom Standpunkt der belarusisch-deutschen Versöhnung. Im Rahmen dieses Besuches fand nicht nur die Eröffnung der Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Trostenez statt. Es wurden auch prinzipielle Vereinbarungen auf der höchsten Ebene über die Schaffung der bilateralen Historikerkommission, sowie über die gemeinsame Weiterentwicklung des Gedenk- und Bildungsprojektes «Geschichtswerkstatt in Minsk» erreicht.

In seiner Gedenkrede anlässlich des 80. Jahrestages des Überfalls des deutschen NS-Regimes auf die Sowjetunion erwähnte der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mehrmals die tragischen Orte und Ereignisse auf dem Territorium von Belarus, unter anderem das Dorf Khatyn und den Vernichtungslager Trostenez, die, nach seinen Wörtern, in Deutschland besser bekannt sein sollen.

Das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund, die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, das Museum Berlin-Karlshorst, sowie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge leisteten in den letzten Jahren bedeutenden Beitrag von der deutschen Seite zur Versöhnung und Bewahrung der historischen  Erinnerung.

Zugleich bekommen Belarus und die Belarusen auf politischer und diplomatischer Ebene nach wie vor keine angemessene Aufmerksamkeit Deutschlands hinsichtlich der historischen Verantwortung im Zusammenhang mit den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges.

Die im Deutschen Bundestag diskutierten Entwürfe entsprechender Resolutionen blieben nur Projekte. Es stellte sich heraus, dass nicht alle Nationen, die durch den von Nazi-Deutschland entfesselten verbrecherischen Krieg Millionen ihrer Bürger verloren haben, der deutschen parlamentarischen Solidarität und des eigenen nationalen Denkmals würdig sind.

Die Ausladung in diesem Jahr der offiziellen belarusischen Vertreter von den Gedenkveranstaltungen in einigen ehemaligen Konzentrationslagern in Deutschland, wo Zehntausende Belarusen während des Krieges gefangen gehalten und ermordet wurden, ist noch ein Schritt auf dem Weg der Untergrabung der jahrelangen mühsamen und sehr wichtigen Tätigkeit im Bereich der belarusisch-deutschen Versöhnung.

Ungeachtet dessen, welche Gründe und aktuelle politische Differenzen es gibt, dürfen und können sie nicht als Grundlage für Revisionismus und Relativismus in Bezug auf die Tragödie und die Schrecken des Zweiten Weltkrieges, sowie auf die historische Verantwortung Deutschlands, unter anderem auch gegenüber Belarusen und Belarus, dienen.
 

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