:

Zum Internationalen Tag der Muttersprache

20.02.2024 г.

Jährlich am 21. Februar wird weltweit der Tag der Muttersprache begangen. Er wurde auf der UNESCO-Generalkonferenz im November 1999 verabschiedet mit dem Ziel, zum Erhalt der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in der Welt beizutragen, nationale Sprachen und Kulturen zu fördern, sowie das Recht jedes Bürgers auf die Verwendung der Muttersprache zu gewährleisten.

Belarusisch ist die Muttersprache der überwiegenden Mehrheit von Belarusen. Sie ist nicht nur Kommunikationsmittel, sondern auch einer der wichtigsten Bestandteile des Kulturkodes belarusischer Nation, das Symbol des nationalen Bewusstseins, die Grundlage für die Identifikation und die Erhaltung des historischen Gedächtnisses unseres Volkes.

Bildung und Entwicklung der belarusischer Sprache

Belarusisch ist eine der ostslawischen Sprachen, die zur indoeuropäischen Sprachfamilie gehört.

In der Slawistik geht man allgemein davon aus, dass die Trennung der gesprochenen Volksdialekte der belarusischen, russischen und ukrainischen Sprachen ungefähr im 14. Jahrhundert erfolgte. 

Der Prozess der Herausbildung der belarusischen Sprache wurde von den Dialekten der auf dem Territorium von heutigen Belarus lebenden Stämme der Radzimichy, Dregavichy und Kryvichy beeinflusst. Eine gewisse Rolle spielten dabei auch die Dialekte der Balten-Jatwinger und Preußen.

Am Anfang des 14. Jahrhunderts bildete sich im Großfürstentum Litauen (GFL) die altbelarusische Sprache heraus, die bis 1696 als offizielle schriftliche Amtssprache im GFL verwendet wurde. In dieser Sprache wurden unter anderem das Gesetzbuch bzw. das Statut des Großfürsten Kasimir Jagailowitsch von 1468, drei Statuten des Großfürstentums Litauen (1529, 1566 und 1588), sowie die meisten Dokumente aus dem fast 600 Bände umfassenden Staatsarchiv des GFL verfasst.

In altbelarusische Sprache wurden die Bibel und die damaligen gesamteuropäischen Belletristik-Werke übersetzt. Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung der altbelarusischen Sprache war die Tätigkeit des herausragenden belarusischen Aufklärers und Erstdruckers Francysk Skaryna, der in den Jahren 1517-1519 die Bibel in die belarusische Fassung der kirchenslawischen Sprache übersetzt und gedruckt hatte. So wurde der Grundstein des ostslawischen Buchdrucks gelegt.

Die Unterzeichnung der Lubliner Union zwischen Großfürstentum Litauen und Polen im Jahr 1569 führte dazu, dass die altbelarusische Schriftsprache aus dem Staatsgebrauch nach und nach verdrängt und durch Polnisch ersetzt wurde. Nach den Teilungen Polen-Litauens Ende des 18. Jahrhunderts und der Annexion des Territoriums des heutigen Belarus an das Russische Reich dominierte dort Russisch als offizielle Amtssprache. Die als Volksdialekt gesprochene belarusische Sprache blieb jedoch weiterhin die Sprache des ländlichen Volkes und der Folklore und behielt ihre Originalität und Einzigartigkeit.

Die Herausbildung der modernen belarusischen Literatursprache begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts. An deren Ursprüngen standen solche Vertreter der belarusischen nationalen Intelligenz wie Vintsent Dunin-Marcynkievich, Aljaxandar Rypinsky und Jan Chachot. Die belarusische Sprache entwickelte sich besonders aktiv im Rahmen der Prozesse der nationalen Wiedergeburt Ende des 19. — Anfang des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit wurde die Grammatik kodifiziert und entstand die Massenliteratur. Die belarusischen Literaturklassiker Frantischak Bahuschewitch, Maksim Bahdanowitch, Yakub Kolas und Yanka Kupala haben dazu ihren unschätzbaren Beitrag geleistet.

Nach der Revolution im Jahr 1905 wurde im Russischen Reich die Verwendung der belarusischen Sprache in den Zeitungen, Zeitschriften und Büchern offiziell erlaubt. Vor allem nach dem Jahr 1917 erlangte sie breite offizielle Anerkennung und wurde in verschiedenen Lebensbereichen, darunter auch im Bildungswesen, verwendet. 

In 1918 veröffentlichte Branislau Tarashkewitch die Grammatik für einheitliche standardisierte Schreibweise der modernen belarusischen Literatursprache.

In der Belarusischen Sozialistischen Sowjetrepublik wurde die belarusische Sprache zur Amtssprache und bekam einen neuen Schwung. In dieser Zeit wurden belarusische Verlage gegründet, zahlreiche Schulen und Universitäten eröffnet, wo die belarusische Sprache gelehrt und studiert wurde. In 1933 wurde in der BSSR die Reform der belarusischen Rechtschreibung durchgeführt. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erlangten solche belarusische Schriftsteller wie Wasil Bykau und Uladzimir Karatkevitsch Weltruf. Ihre Literaturwerke wurden aus dem Belarusischen in viele Sprachen der Welt, darunter auch ins Deutsche, übersetzt.

Belarusische Sprache heute

Heute ist die belarusische Sprache die Staatssprache in der Republik Belarus (den gleichen Status hat die russische Sprache). Als Muttersprache wird sie auch von den belarusischen nationalen Minderheiten verwendet, die in den an Belarus grenzenden Staaten – Russland, Ukraine, Polen, Litauen und Lettland – leben. Weltweit sprechen insgesamt mehr als 7 Millionen Menschen Belarusisch.

In der Republik Belarus wird zielgerichtete Politik zur Erhaltung und Entwicklung der belarusischen Sprache durchgeführt. Die systematische Forschung auf dem Gebiet der belarusischen Sprachkunde wird durch das Yakub Kolas-Institut für Sprachkunde der Nationalen Akademie der Wissenschaften von Belarus koordiniert und durchgeführt.

Jedes Jahr am ersten Sonntag im September wird in Belarus der Tag des belarusischen Schrifttums gefeiert. Das Konzept dieses Feiertags besteht darin, die Einigkeit des belarusischen gedruckten Wortes mit der Geschichte und der Kultur des belarusischen Volkes hervorzuheben und den historischen Weg des Schrifttums und des Drucks in Belarus widerzuspiegeln. Der Tag des belarusischen Schrifttums findet traditionell in den Städten statt, die die historischen Zentren der Kultur, Wissenschaft, Literatur und des Buchdrucks sind. Im Jahr 2024 finden die Feierlichkeiten in der Stadt Iwazewitschi im Gebiet Brest statt.

Besonderheiten der modernen belarusischen Sprache

Die belarusische Sprache hat gemeinsame grammatische und lexikalische Merkmale mit anderen ostslawischen Sprachen. Allerdings gibt es in der belarusischen Sprache viele Wörter, die nicht buchstäblich übersetzt werden können. Darin besteht ihre Einzigartigkeit und Einmaligkeit.

Lexikalisch ist belarusische Sprache erstaunlich reichhaltig. Während die Literatursprache etwa 250 000 – 500 000 Wörter beinhaltet, umfassen Dialekte und lokale Mundarten, die einen wichtigen Bestandteil der Sprache ausmachen, etwa 2 000 000 Wörter. Als Hauptdialekte der belarusischen Sprache gelten die nordöstlichen und südwestlichen Dialekte, sowie der mittelbelarusische Übergangsdialekt. Die belarusischen Dialekte unterscheiden sich in der Aussprache bestimmter Buchstabenarten, z.B. der Buchstaben «a», «d» und «t». Linguisten nennen diese Besonderheiten der Aussprache «akanne» (Reduktion des Vokales [o] in unbetonten Position), «dsekanne» und «tsekanne» (Affrikatisierung der Konsonanten [d] zu [dz] bzw. [t] zu [ts]).

Das Alphabet der belarusischen Literatursprache basiert auf der altslawischen kyrillischen Schrift. In der Vergangenheit wurden auch lateinische und arabische Schriftzeichen verwendet. Die moderne Form des belarusischen Alphabets besteht seit 1918 und beinhaltet 32 Buchstaben.

Charakteristische Merkmale der belarusischen Sprache sind die Verwendung des Apostrophs (') sowie des unikalen Buchstabes aus der erweiterten kyrillischen Schrift – des kurzen «u» (ў), dem in der Stadt Polotsk, der Wiege des belarusischen Schrifttums, sogar ein Denkmal gewidmet ist.

Die Schreibweise in der belarusischen Sprache beruht auf dem Prinzip «man schreibt so, wie man es spricht», was die Regeln der belarusischen Orthographie wesentlich vereinfacht.

Germanismen in der belarusischen Sprache

Das Lexikon der modernen belarusischen Schriftsprache hat einen langen Entstehungsweg hinter sich. Es besteht nicht nur aus einheimischen belarusischen Wörtern, sondern auch aus Wörtern, die von anderen Sprachen, darunter Deutsch, übernommen wurden.

Germanismen tauchten in der belarusischen Sprache bereits im 13. Jahrhundert auf als Ergebnis der direkten Kontakte zwischen den Belarusen und den in den baltischen Staaten niedergelassenen Deutschen. Eine große Rolle spielten dabei die Handelsbeziehungen und Kontakte zwischen den Germanen und den slawischen Stämmen (wie Kryvichy und Radzimichy), die im Norden von Belarus lebten. Damals wurden solche deutsche Wörter in die belarusische Sprache entlehnt, die vor allem von Kaufleuten im Bereichen des Handels, der Kommerz und der Geldbeziehungen verwendet wurden, z.B.: der Handel – «гандаль» /handal/; das Papier – «папера» /papera/; die Waage – «вага» /waha/; der Rest – «рэшта» /reschta/, der Zins – «чынш»/chynsch/.

Ab dem 16. Jahrhundert intensivierten sich die deutsch-belarusischen Kontakte. Viele deutschsprachige Kaufleute, Handwerker, Ärzte und Künstler reisten nach Osteuropa einschließlich des heutigen Territoriums von Belarus, auch infolge der Protestantenverfolgung. In dieser Zeit fanden deutsche Fachausdrücke und einzelne Wörter des täglichen Lebens Eingang in das belarusische Sprachsystem. Die meisten deutschen Wörter findet man heute in folgenden Bereichen:

- Bauwesen, Handwerk und Möbel: das Dach – «дах» /dach/, die Kreide – «крэйда» /kreida/, das Kloster – «кляштар» /kljastar/, die Mauer – «мур» /mur/, der Palast – «палац» /palac/, das Spital – «шпіталь» /spital/, der Ziegel – «цэгла» /tsehla/, die Scheibe – «шыба» /schyba/, der Draht – «дрот» /drot/, der Korb – «кораб» /korab/, der Pinsel – «пэндзаль» /pendzal/, die Truhe – «труна» /truna/, das Schild – «шыльда» /schylda/, die Schublade – «шуфляда» /schufljada/, der Koffer – «куфар» /kufar/, der Gerber – «гарбар» /harbar/, der Teller – «талерка» /talerka/, der Gang – «ганак» /hanak/.

- Kleidung und Schuhe: die Baumwolle – «бавоўна» /bawouna/, der Unterrock – «андарак» /andarak/, der Absatz – «абцас» /abtsas/, das Halstuch – «гальштук» /halstuk/, der Pantoffel – «пантофель» /pantofel/, das Futter – «футра» /futra/.

- Speisen und Getränke: die Kartoffel – «картопля» /kartoplja/, der Geschmack – «смак» /smak/, die Gurke – «агурок» /ahurok/, das Öl – «алей» /alej/, der Schinken – «шынка» /schynka/, die Zwiebel – «цыбуля» /tsybulja/, der Zucker – «цукар» /tsukar/.

- Tätigkeiten und Handlungen: drucken – «друкаваць» /drukawatz/, müssen – «мусіць» /musitz/, wünschen – «віншаваць» /winschawatz/, malen – «маляваць» /maljawatz/, retten – «ратаваць» /ratawatz/, wandern – «вандраваць» /wandrawatz/.

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert setzte sich der Prozess der lexikalischen Entlehnung aus der deutschen Sprache fort. Die belarusische Sprache wurde insbesondere im Bereich der Medizin durch Wörter des deutschen Ursprungs bereichert (die Binde – «бінт» /bint/, die Spritze – «шпрыц» /spryts/, die Schramme – «шрам» /schram/); der Wirtschaft (der Buchhalter – «бухгалтар» /buchhaltar/, der Krach – «крах» /krach/); des Schachspiels (der Blitz – «бліц» /blits/, der Zugzwang – «цугцванг» /zugzwang/, das Endspiel – «эндшпиль» /endspil/, der Großmeister – «гросмaйстар» /grosmaistar/, die Zeitnot – «цэйтнот» /tseitnot/). Neben speziellen Begriffen gibt es in der belarusischen Sprache gebräuchliche deutsche Wörter wie die Schlauch – «шланг» /schlang/, der Stöpsel – «штэпсель» /stepsel/, der Spion – «шпіён» /spijon/.

Im 19. Jahrhundert waren die Reisen nach deutschen Kurorten unter dem Adel beliebt. Folgende Wörter wurden entsprechend entlehnt: Kutscher – «кучар» /kuchar/, Bäcker – «пекар» /pekar/, Kurort – «курорт» /kurort/, das Feuerwerk – «феерверк» /fejerwerk/, die Wanne – «ванна» /wanna/.

All dies zeigt deutlich die enge Verbindung zwischen der belarusischen und der deutschen Sprachen und bestätigt jahrhundertelange Kontakte der beiden Völker.

Die Belarusen sind zu Recht stolz auf ihre Muttersprache. Nach einem sehr schwierigen und widersprüchlichen Weg durch die Jahrhunderte konnte sich die belarusische Sprache herausbilden und bewahren, sie wurde zur Grundlage der belarusischen Nation und Staatlichkeit, zum untrennbaren Bestandteil der Mentalität des belarusischen Volkes.

Im Rahmen der deutsch-belarusischen Beziehungen könnten gemeinsame Projekte im Bereich der Erforschung der belarusischen Sprache in Deutschland, einschließlich der Einrichtung entsprechender Kompetenzzentren und Forschungsprogramme an deutschen Hochschulen, zu einem wichtigen Bestandteil der künftigen bilateralen Wissenschafts- und Bildungszusammenarbeit werden.
 

Druckversion

Belarusian Diplomatic Missions

All Missions Belarus' Foreign Ministry
Go to